Interview mit Philip Herschkowitz für den Österreichischen Rundfunk (Herschkowitz)

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Interview mit Philip Herschkowitz für den Österreichischen Rundfunk
автор Филип Моисеевич Гершкович (1906—1989)
См. «О Музыке», книга 4. Источник: Philip Herschkowitz. über Musik. viertes Buch, Moskau, Wien, 1997, cc. 174-179.


Hershkowitz Uber Musik 4 cover.jpg


Interview mit Philip Herschkowitz für den Österreichischen Rundfunk[1]

H: Ich bin von Jassy im Jahre 27 weitergefahren — eben nach Wien.

K: Und wie sind Sie auf die Idee gekommen nach Wien zu fahren?

H: In Jassy, in einer gutbürgerlichen jüdischen Familie, muß ein jeder Sohn, der mit dem Wissen oder gegen den Willen seiner Eltern mit der Musik angebandelt hat, halt nach Wien, um dort sich gute musikalische Manieren anzueignen.

Ich bin in Wien am 1. November 1927 angekommen. Ich erinnere mich sehr gut an den Abend, als ich in Wien angekommen bin. Ich glaube, es war ein Samstagabend, an diesem 1. November. Wir fuhren herunter vom Ostbahnhof, die Prinz-Eugen-Straße, Schwarzenbergplatz, nach links auf den Kärtnerring, die Kärtnerstraße, Rotenturmstraße, über die Brücke — eine Verlängerung der Rotenturmstraße, ich weiß nicht, wie sie hieß —, und dann eben war es die Kleine Sperlgasse. Und als — damals war’s noch die Linksrichtung im Verkehr gewesen — als am Schwarzenbergplatz das Auto bei der Verkehrsampel stehen geblieben ist und ich nach rechts geschaut habe und das Schwarzenbergdenkmal gesehen habe, habe ich es empfunden: Ich bin in Wien.

Außer dem Stephansdom haben mir sehr die Philharmoniker gefallen. Das habe ich gespürt, daß ich bin in Wien.

H: ...in Wien, eben bei Alban Berg und noch mehr bei Webern dann eigentlich den Weg zur Musik gefunden habe. Zu jener Musik, die meine Welt ausmacht. Die deutsche Musik. Man muß "die deutsche Musik" sagen, nicht "die österreichische".

K: Warum?

H: Die österreichische Musik, das ist eigentlich die Wiener Musik. Und Wien ist bis 1805 die Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches gewesen. Und die Hauptstadt der Musik ist es weiter geblieben. Nicht nur bis zum Jahre 1918, sondern auch später und weiter. Sagen wir bis zum Jahre 1945, als zufälligerweise ein Betrunkener irgendwo in Kärnten Webern erschoß. Webern eben hat einmal mir gesagt: "Es gibt eine deutsche Musik genau so, wie es eine griechische Bildhauerkunst gegeben hat". Das ist das zweite Wort von Webern, welches meine Beziehung zum Leben und zur Musik, oder besser gesagt zur Musik und zum Leben geprägt hat. Bei Webern bin ich fünfeinhalb Jahre in der Lehre gewesen. Ab Februar 1934 bis September 1939. Als ich einige Tage, bevor ich wegfuhr zurück nach Rumänien, — als ich mich verabschieden konnte, hat er gesagt: "Lassen wir die Frauen hier unten im Garten und gehen wir hinauf. Ich will Ihnen erzählen vom Verhältnis zwischen Mozart und Wagner".

Und das allererste Wort in der allerersten Stunde Weberns ist eben gewesen, daß ... eine jede Musik vor oder nach Beethoven muß von Beethoven aus, von Beethoven ausgehend betrachtet und empfunden und ihr Wert abgeschätzt werden.

H: Berg — das ist der wunderbarste Mensch, den ich je kennengelernt habe. Auch in der Musik, nicht nur im Leben. Aber in der Musik war er irgendwie — ... gütig herablassend, möcht’ ich sagen. Und in diesem Zusammenhang hat man nicht vieles von ihm erfahren können. Er war überhaupt gütig herablassend — sogar zu seinen besten Freunden, soweit ich mir Rechenschaft geben konnte. — Seiner Freunde...

Ich weiß, daß er befreundet war mit Werfel, sehr befreundet. Er war sehr befreundet mit Křenek[2]. Und er hatte einen Freund, der Morgenstern[3] hieß, der schrieb in der "Neuen Freien Presse" Feuilletons. Hier, in Moskau, weiß ich, versteh’ ich, daß er Sjoma Morgenstern hieß. In Wien Unterzeichnete er sich mit Soma Morgenstern. Er sprach sehr schlecht Deutsch, aber er schrieb diese Sprache sehr gut.

Einmal bin ich beim Fußball gewesen, auf der Hohen Warte, mit Alban Berg und mit dem Morgenstern. Es war mir schrecklich langweilig. Und der Morgenstern und der Berg, die beide sehr klatschten... Und der Morgenstern hat sich an mich gewendet und gesagt: "Was ist los, regen’s sich überhaupt nicht auf?" — Ja. — Mehr bin ich nicht beim Fußball gewesen. Interessierte mich nicht.

K: Und der Alban Berg war ein Fußballfan?

H: Ja. Genauso wie hier der Schostakowitsch.

Jener Schostakowitsch, der, als im Jahre 26 — das wurde mir erzählt —, als in Leningrad der "Wozzeck" gespielt wurde, eine jede Vorstellung des "Wozzeck" besucht hat.

H. Für mich ist echte Musik nur die Musik der großen Meister. Und die sind in der Welt immer sehr, sehr wenig gewesen. Ich betrachte die Musikgeschichte als eine Art Beisl, in welches ein paar Aristokraten mißverständlicherweise hineingefallen sind.

K: Wen meinen Sie damit?

H: Die großen Aristokraten Bach, Beethoven, Wagner, Mozart, Mahler, Schönberg.

H: Mit Berg — obwohl ich als Schüler bei ihm schon mit dem Jahre 30 aufgehört habe, bin ich mit ihm bis zu seinem Tod zusammengewesen. Ich erinner’ mich sehr gut — die zwei Wochen im Rudolfspital, wo er gestorben ist.

K: Sie haben ihn dort besucht?

H: Ich bin den ganzen Tag dort gewesen, diese zwei Wochen. Nicht ich allein, sondern auch Apostel, und die Frau Berg, und der Morgenstern und auch noch andere. Ich erinnere mich, wie, als man den Berg über den Korridor zur Bluttranfusion geführt hat, — hat er gesagt: "Gott weiß, vielleicht werd’ ich jetzt zum Operettenkomponist werden?" Und am letzten Tag, als der Apostel hineingekommen im schwarzen Anzug, hat der Berg gesagt: "Du hast schon Trauer angelegt?"

Da hab’ ich’s nicht mehr ausgehalten und bin weggelaufen.

K: Er war eher ein ironischer Mensch, witzig?

H: Er war ungeheuer witzig. Er war ungeheuer witzig — einige Witze will ich nicht erzählen. Nicht auf mich sondern auf viele machte er den Eindruck, daß er Oscar Wilde ist. Er war ihm auch ähnlich. Äusserlich.

H: Das, was mir Webern gezeigt hat, den Weg bin ich ein Stückchen weitergegangen.

Ach mein Gott, warum sag’ ich das.

Es ist aber die Wahrheit.

K: Was hat die Leute, Ihre Schüler, an dem, was Sie bei Webern gelernt haben, interessiert? War es die Zwölftonmusik? Was war das Aufregendes?

H: Was heißt "Zwölftonmusik"?! Bei Webern hab’ ich Beethoven gelernt! Das verstehen die Leute nicht! Es gibt keine "Zwölftonmusik"! Die Zwölftonmusik ist ein neues Stadium der Tonalität! Dazu muß man aber die Tonalität können! Und das hat niemand gekannt bis Webern. In den letzten 30, 35 Jahren ist der Weg so gegangen: Zuerst hat man begonnen, den Berg zu entdecken. Dann hat man den Webern entdeckt. Und Schönberg ... Schönberg hat es nicht richtig gesagt, wenn er gesagt hat: "Ich kann warten". Das ist nicht wahr. Es ist sehr schlecht, daß man ihn nicht spielt. Sehr schlecht. Ja! — Wozu sprech’ ich so viel über Musik. Ich sollt’ es nicht tun.

K: Ich würde Sie aber doch bitten, wenn Sie Laien erklären müssten, was nun der große Bruch ist, den die Wiener Schule, die Schönberg, Berg, Webern, vollzogen haben —

H: Das ist kein Bruch! Das ist ganz im Gegenteil eine ungeheure Erweiterung der Erkenntnis der Vergangenheit der Musik! Das verstehen weder die Trottel noch sogar auch die ... viel zu gescheiten Leute!

H: Man sagt: "Beethoven". "Der große Beethoven". "Der große Mozart". "Der große Bach". Und das Wesen dieser Leute, das Wesen, welches unendlich ist, — wird nicht einmal begonnen, daß man damit bekannt wird.

Webern hat das getan.

Webern — man findet, — viele finden es —, daß er ein großer Komponist ist. Ich kann dazu hinzufügen, daß er der größte Theoretiker ist, den es je auf der Welt gegeben hat.

K: Ich wollte Sie noch persönlich, in Ihrer persönlichen Entwicklung fragen. Sie sind rumänischer Jude, sind aber 1938 nicht ausgewandert aus Österreich. Sie sind weiter in Wien geblieben.

H: Ich konnte nicht weg von Wien. Ich habe nicht die Möglichkeit gehabt. Ich weiß nicht, ob es interessant ist, das auseinanderzulegen. In Wien lebten damals 50 000 bukowiner Juden, welche — kein Mensch kann verstehen, warum — für die rumänische Staatsbürgerschaft optiert haben nach dem Krieg. Und nach dem April 1938 haben alle nach Rumänien wollen, und die Rumänen haben ein Gesetz gemacht, daß kein rumänischer Staatsbürger, der mehr als drei Monate im Ausland verbracht hat, darf nach Rumänien nicht zurück ohne eine besondere Erlaubnis vom Außenministerium. Das Resultat ist gewesen, daß kein anderes Land — nicht nur Rumänien — keinen rumänischen Staatsbürger zu sich ließ, der im Paß nicht den Stempel "Bon pour se rendre en Roumanie" hat — und somit bin ich in Wien noch anderhalb Jahre gewesen. Das waren keine leichten Jahre.

K: Und Sie haben in diesen Jahren bei Webern weiterstudieren?

H: Ja! — Ja. — Ja!!

K: Sie wissen, worauf meine Frage hinausläuft: Webern wird nachgesagt, daß er deutschnationale Sympathien hatte — in der Politik; vielleicht auch in seiner kulturellen Welt.

H: Ich muß sagen folgendes: Ich stehe auf dem Standpunkt, daß das keinen Hund interessieren sollte. Aber ich hätte es wissen müssen. Und ich weiß es nicht. Er hat mir nie etwas darüber gesagt. Ich bin Jude, er hat mir Stunden umsonst gegeben — und er war sehr arm. Er hatte damals eigentlich keine Schüler außer mir. Wäre er das gewesen, wovon man spricht, dann glaube ich nicht, daß er mir die Stunden gegeben hätte.

K: Wenn Sie die Erlaubnis bekommen, Ihre wissenschaftliche Besuchsreise nach Österreich zu machen — Sie würden vor allem einen Beitrag zur besseren Kenntnis der Theorie von Berg und Webern geben wollen?

H: Ich will wirklich, wenn ich dort sein werde, etwas tun für die Neuausgabe der Berg-Werke. Und was mich persönlich, als Mensch betrifft, will ich sehr noch einmal Wien seh’n. Und ich will Wien meiner Frau zeigen. Meiner Frau, die erst 20 Jahre, nachdem ich nach Wien gekommen bin, geboren wurde. Ja ich will eben, sozusagen, das Begegnis der Vergangenheit mit der Gegenwart erleben.

Примечания

  1. Aufgenommen von Franz Kössler in Moskau, gesendet in "Journal-Panorama" am 26. VI 1987. Dieser Abdruck gibt alle gesendeten Passagen des Interviews wieder. Die Unterbrechungen durch Zwischenmusiken werden durch weiße Räume wiedergegeben.
  2. Emst Křenek (1900 Wien — 1991 Palm Springs) studierte seit 1916 an der Wiener Akademie für Tonkunst bei Franz Schreker, dem er 1920 nach Berlin folgte (wo Schreker in diesem Jahr zum Direktor der Hochschule für Musik ernannt wurde). Von 1929 bis 1937 lebte Křenek wieder in Wien; 1937 emigrierte er in die USA.
  3. Soma Morgenstern ist am 3. Mai 1890 in einem ostgalizischen Dorf bei Tamopol geboren. 1912 begann er ein Jurastudium in Wien, das er 1921 mit einer Promotion beendete. In der Mitte der 20er Jahre ließ er sich in Berlin nieder. Seit 1927 arbeitete er für die "Frankfurter Zeitung". Als deren Korrespondent kehrte er 1928 nach Wien zurück. Alban Berg war hier sein engster Freund. Am Tage des "Anschlusses" floh er nach Paris, wo er zusammen mit dem Dichter Joseph Roth, mit dem er seit seiner Studentenzeit befreundet war, in einem kleinen Hotel lebte. Morgensterns Frau und Sohn flohen währenddessen nach Dänemark. Nach dem Kriegsbeginn wurde Morgenstern in französischen Lagern interniert. Er konnte nach Marseille entkommen und sich von dort aus nach New York retten, wo er am 17. April 1976 starb. Morgenstern schrieb zeitlebens auf deutsch. Erst jetzt beginnen die Werke dieses deutschen Dichters in der Original spräche verlegt zu werden, darunter auch der Band "Alban Berg und seine Idole" (Lüneburg, Verlag zu Klampen, 1995). Nach dem II. Weltkrieg, am 27. März 1948, schrieb Soma Morgenstern aus New York an Helene Berg:

    Hast du uebrigens je eine Nachricht von dem einzigen Schueler Albans, von dem Alban sich sehr viel versprach — er hiess Herschkowitz und war, glaube ich, aus Rumaenien — gehabt? Man sagt hier, er habe sich gerettet, aber keiner weiss, wo er ist.

    Ich hoffe sehr, Dich wiederzusehn. Einmal wird ja doch der vielerwartete Friede kommen und da wird man ja auch wieder reisen koennen.

    (Österreichische Nationalbibliothek)